Biologen, Chemiker und Mediziner müssen wissen, wie biologische Reaktionen im Innern des menschlichen Körpers ablaufen. Zum Beispiel um Implantate einzusetzen, neue Wirkstoffe zu entwickeln oder krankes Gewebe zu ersetzen. Eine wichtige Rolle spielt bei den Untersuchungen die extrazelluläre Matrix (ECM). Sie stellt im menschlichen Gewebe die natürliche Umgebung der Zellen dar und erfüllt wichtige Funktionen. Durch ihre gewebetypische Zusammensetzung ist sie das ideale Material für Anwendungen in der Medizintechnik.
»Es ist jedoch sehr kompliziert, die Matrix so zu modifizieren, dass sie für unterschiedliche Aufgabenstellungen angepasst werden kann, sich aber trotzdem wie in natürlicher Umgebung verhält«, sagt Dr. Monika Bach aus der Abteilung Grenzflächentechnologie und Materialwissenschaft des Fraunhofer IGB.
Das Wissenschafts-Team des Stuttgarter Forschungsinstituts hat eine funktionale ECM entwickelt, die auch außerhalb des Körpers das natürliche Verhalten der Zellen fördert und flexibel an biologische oder materialtechnische Aufgabenstellungen angepasst werden kann. »Im Labor haben wir gezeigt: Das Biomaterial erfüllt trotz der eingebrachten künstlichen reaktiven Gruppen seine Funktionen und unterstützt das natürliche Verhalten der Zellen, die mit ihr in Kontakt stehen«, schildert Prof. Dr. Petra Kluger, Leiterin der Abteilung Zell- und Tissue Engineering, den Forschungsstand.
Derzeit suchen die IGB-Forscherinnen und -Forscher Kooperationspartner, um mit Hilfe der patentierten Technologie konkrete Produkte zu entwickeln: Zum Beispiel, um Implantate zu beschichten, damit sie schneller vom Körper angenommen werden. Die Verwendung von patienteneigenen Zellen zur Herstellung der ECM ermöglicht eine individualisierte Beschichtung der Materialoberflächen. Dies sollte das Zellwachstum auf den Oberflächen deutlich verbessern und Entzündungs- und Abstoßungsreaktionen vermindern, die Implantate im Körper eines Patienten hervorrufen können. Auch die Verweildauer der Implantate im Körper könnte durch die Entwicklung deutlich erhöht werden.
»Grundsätzlich wäre diese Technologie aber auch interessant, um neue Materialien zu entwickeln, die zur Wund- oder Knochenheilung eingesetzt werden könnten«, sagt Bach. Denkbar wäre zudem eine Beschichtung für Zellkulturgefäße im Labor. Sie liefert den jeweiligen Zellen eine ideale Umgebung, sodass diese während der Kultivierung ihr natürliches Wachstumsverhalten zeigen. »Denn Zellen reagieren sehr empfindlich auch auf kleine Veränderungen in ihrer Umgebung«, erklärt Bach.
Chemische Reaktion, die klickt
Um die ECM mit künstlichen chemischen Gruppen auszustatten, nutzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den natürlichen Stoffwechsel der Zellen und lassen sie die chemische Gruppe selbst einbauen. Dazu werden Zellen, die zuvor aus menschlichen Gewebeproben gewonnen wurden, in einer Zellkulturschale mit Zuckermolekülen gefüttert, die im Vergleich zu herkömmlichen Zuckern an einer Stelle eine reaktive Gruppe tragen. Die Zellen nehmen diesen modifizierten Zucker auf und nutzen ihn als Baustein, um andere Moleküle innerhalb der Zelle und in der ECM aufzubauen.
»Diese chemische Gruppe kann anschließend in einer selektiven chemischen Reaktion – Click-Reaktion – mit einem passenden Bindungspartner weiter reagieren. Das muss man sich wie bei einem Druckknopf vorstellen: Eine Hälfte, andere Hälfte – Klick!«, schildert Bach den Vorgang.
Auf diese Weise kann eine Implantat-Oberfläche, die die andere Hälfte des Druckknopfs trägt, stabil mit der clickECM beschichtet werden. Das Einwachsen des Implantats in das umliegende Gewebe wird so deutlich verbessert.